Fragebogen von Max Frisch zum Thema Freundschaft
Fragebogen für Männer und Frauen, wobei M. Frisch ihn wohl für seine Geschlechtsgenossen entworfen hat.
- Halten Sie sich für einen guten Freund?
- Was empfinden Sie als Verrat:
- wenn der andere es tut?
- wenn Sie es tun?
- Wie viele Freunde haben sie zur Zeit?
- Halten Sie die Dauer einer Freundschaft (Unverbrüchlichkeit) für ein Wertmass der Freundschaft?
- Was würden Sie einem Freund nicht verzeihen:
- Doppelzüngigkeit?
- dass er Ihnen eine Frau/einen Mann ausspannt?
- dass er Ihrer sicher ist?
- Ironie auch Ihnen gegenüber?
- dass er keine Kritik verträgt?
- dass er Personen, mit denen Sie sich verfeindet haben, durchaus schätzt und gerne mit ihnen verkehrt?
- dass Sie keinen Einfluss auf ihn haben?
- Möchten Sie ohne Freunde auskommen können?
- Halten Sie sich einen Hund als Freund?
- Ist es schon vorgekommen, dass Sie überhaupt gar keine Freundschaft hatten, oder setzen Sie dann Ihre diesbezüglichen Ansprüche einfach herab?
- Kennen Sie Freundschaft mit Frauen/Männern:
- vor Geschlechtsverkehr?
- nach Geschlechtsverkehr?
- ohne Geschlechtsverkehr?
- Was fürchten Sie mehr: das Urteil von einem Freund oder das Urteil von Feinden?
- Warum?
- Gibt es Feinde, die Sie insgeheim zu Freunden machen möchten, um sie müheloser verehren zu können?
- Wenn jemand in der Lage ist, Ihnen mit Geld zu helfen, oder wenn Sie in der Lage sind, jemand mit Geld zu helfen: sehen Sie darin eine Gefährdung der bisherigen Freundschaft?
- Halten Sie die Natur für einen Freund?
- Wenn Sie auf Umwegen erfahren, dass ein böser Witz über Sie ausgerechnet von einem Freund ausgegangen ist: kündigen Sie daraufhin die Freundschaft? Und wenn ja?
- Wieviel Aufrichtigkeit von einem Freund ertragen Sie in Gesellschaft oder schriftlich oder unter vier Augen?
- Gesetzt den Fall, Sie haben einen Freund, der Ihnen in intellektueller Hinsicht sehr überlegen ist: tröstet Sie seine Freundschaft darüber hinweg oder zweifeln Sie insgeheim an einer Freundschaft, die Sie sich allein durch Bewunderung, Treue, Hilfsbereitschaft usw. erwerben?
- Worauf sind Sie aus dem natürlichen Bedürfnis nach Freundschaft öfter hereingefallen:
- auf Schmeichelei?
- auf Landsmannschaft in der Fremde?
- auf die Einsicht, dass Sie sich eine Feindschaft in diesem Fall gar nicht leisten können, z.B. weil dadurch ihre berufliche Karriere gefährdet wäre?
- auf Ihren eigenen Charme?
- weil es Ihnen schmeichelt, wenn Sie jemand, der gerade Ansehen geniesst, öffentlich als Freund bezeichnen können (mit Vornamen)?
- auf ideologisches Einverständnis?
- Wie reden Sie über verlorene Freunde?
- Wenn es dahin kommt, dass Freundschaft zu etwas verpflichtet, was eigentlich Ihrem Gewissen widerspricht, und Sie haben es um der Freundschaft willen getan: hat sich die betreffende Freundschaft dadurch erhalten?
- Gibt es Freundschaft ohne Affinität im Humor?
- Was halten Sie ferner für unerlässlich, damit Sie eine Beziehung zwischen zwei Personen nicht bloss als Interessen-Gemeinschaft, sondern als Freundschaft empfinden:
- Wohlgefallen am andern Gesicht
- dass man sich unter vier Augen einmal gehenlassen kann, d.h. das Vertrauen, dass nicht alles ausgeplaudert wird
- politisches Einverständnis grosso modo
- dass einer den andern in den Zustand der Hoffnung versetzen kann nur schon dadurch, dass er da ist, dass er anruft, dass er schreibt
- Nachsicht
- Mut zum offenen Widerspruch, aber mit Fühlern dafür, wieviel Aufrichtigkeit der andere gerade noch verkraften kann, und also Geduld
- Ausfall von Prestige-Fragen
- dass man dem andern ebenfalls Geheimnisse zubilligt, also nicht verletzt ist, wenn etwas auskommt, wovon er nie gesprochen hat
- Verwandtschaft in der Scham
- wenn man sich zufällig trifft: Freude, obschon man eigentlich gar keine Zeit hat, als erster Reflex beiderseits
- dass man für den andern hoffen kann
- die Gewähr, dass der eine wie der andere, wenn eine üble Nachrede über den andern im Umlauf ist, zumindest Belege verlangt, bevor er zustimmt
- Treffpunkte in der Begeisterung
- Erinnerungen, die man gemeinsam hat und die wertloser wären, wenn man sie nicht gemeinsam hätte
- Dankbarkeit
- dass der eine den andern gelegentlich im Unrecht sehen kann, aber deswegen nicht richterlich wird
- Ausfall jeder Art von Geiz
- dass man einander nicht festlegt auf Meinungen, die einmal zur Einigkeit führten, d. h. dass keiner von beiden sich ein neues Bewusstsein versagen muss aus Rücksicht? (Unzutreffendes streichen.)
- Wie gross kann dabei der Altersunterschied sein?
- Wenn eine langjährige Freundschaft sich verflüchtigt, z.B. weil die neue Gefährtin eines Freundes (oder ugekehrt) nicht zu integrieren ist: bedauern Sie dann, dass Freundschaft einmal bestanden hat?
- Sind Sie sich selber ein Freund?