Leseprobe 2 – „Was wir sind..“ – Was wäre wohl aus Ihnen geworden?

Gerald Hüther: Was wir sind und was wir sein könnten (4. Auflage). Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main, März 2013, S89 f

Was wäre wohl aus Ihnen geworden…?
(…) Können Sie sich vorstellen, was aus Ihnen geworden wäre, wenn Sie nicht hier in Deutschland, sondern irgendwo anders aufgewachsen wären? Vielleicht in der mongolischen Steppe, in den Slums von Kalkutta oder im tropischen Regenwald Brasiliens? Sie wären jemand geworden, der ganz andere Erfahrungen gemacht hätte, der anders gelernt, andere Fähigkeiten erworben, sich anderes Wissen angeeignet hätte. Aussehen würden Sie – zumindest nackt – wohl auch so ähnlich, wie Sie heute aussehen. Aber Sie würden ganz anders denken, wohl auch anders empfinden und sich mit Sicherheit ganz anders verhalten, und Sie hätten natürlich auch ein völlig anderes Gehirn, jedenfalls in all jenen Bereichen, die sich erst erfahrungsabhängig nach der Geburt strukturieren. (…)

Und nun können wir das Gedankenexperiment noch einmal machen, nur diesmal stellen Sie sich einfach vor, Sie wären nicht in eine andere Kultur auf einem anderen Kontinent sondern nur in eine andere Familie in derselben Straße oder in derselben Stadt hineingewachsen. Also beispielsweise als erstes und einziges Kind der Professorenfamilie aus dem Villenviertel mit der genervten, ewig meckernden Frau. Die wäre dann Ihre Mutter gewesen. Oder als sechstes Kind der Familie aus der Bahnhofstraße. Das ist die Familie, in der der Mann schon seit Jahren arbeitslos und fast immer betrunken ist und dessen Frau im Supermarkt an der Kasse arbeitet, abends bis zehn. Das wären dann Ihre Eltern gewesen.

Genauso gut könnten Sie aber auch als Kind der alleinerziehenden Mutter aufgewachsen sein, die ihrem damaligen Partner zuliebe in diese Stadt zog und dann von ihm betrogen und verlassen worden ist. Außer Ihnen hätte diese arme Frau niemanden gehabt, mit dem sie ihr Leid teilen konnte.

Gern können Sie das Spektrum der familiären Lebenswelten noch um einige andere Beispiele aus Ihrem Wohnviertel oder Bekanntenkreis erweitern. Sie ahnen bereits, worauf das ganze hinausläuft. Sie hätten auch hier, in Ihrer Gegend, ein völlig anderes Gehirn bekommen, je nachdem, in welche dieser Familien Sie hineingewachsen wären. (…)

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