Ist das Leben lebenswert?

having funHeutzutage betonen wir oft, wie super frei wir sind und wie genussvoll unser Leben ist. Wir lieben es, in die Therme zu fahren und Wellness zu erleben. Kultiviert zu speisen, am besten in Lokalen, die uns die Restaurantkritiker empfehlen, mit erlesenen Weinen zu jedem Gang. „All inclusive“ Urlaube und „All you can eat“ bereichern unsere spärliche Freizeit. Elektronik erleichtert uns das Leben und das Internet macht uns den Weg frei für alles, was unser Herz begehrt. Von Amazon bis zu Zalando, von Pornografie bis Partnersuche. Glück pur, oder?

Sieht man genauer hin, wird dieses Weltbild bröckelig. Ich meine sogar, das Gegenteil ist der Fall, denn Verbote und Vorschriften regeln mittlerweile unser Leben – genauer gesagt regeln sie unsere Freude. Ohne dass wir es bemerkt hätten, hat man uns beraubt und wir ließen es einfach zu. Wir dürfen längst nicht mehr so ohne weiteres Lust empfinden.

Als Raucher wird man geradezu kriminalisiert. Alkohol zu trinken ist schädlich. Gut zu essen führt zu Leberverfettung und Herzinfarkt. In die Luft zu schauen und nichts zu tun ist Zeitverschwendung. Keinen Sport zu betreiben ist Selbstmord auf Raten. Dick oder alt zu sein ist unschicklich. Immer sollen wir vernünftig sein. Wir regeln Verhaltensweisen, die im Normalfall keinen anderen Menschen stören. Man redet uns aber ein, dass solche Reglements vernünftig sind.

Wir sollen verstehen, dass es einfach besser ist, wenn wir uns bei Sicherheitskontrollen an Flughäfen fast komplett ausziehen müssen. Wenn Leibesvisitation nicht soviel Zeit in Anspruch nähme, wäre sie sicher auch schon an der Tagesordnung. Man verlangt von uns, einzusehen, dass es ganz logisch ist, dass man unsere Privatsphäre sabotiert und in unseren Sachen rumschnüffeln können muss; dass überall Kameras angebracht sind, dass man jederzeit über sein Handy geortet werden kann.

Verstöße gegen das Nichtrauchergesetz werden unverzüglich angezeigt. Auf pünktliche Sperrstunden beim Wirten ist zu achten und bei der geringsten Verzögerung die Polizei zu rufen. Rasenmähen zur Mittagszeit, Ski- und Radfahren ohne Helm, Türbreiten, Schließzeiten, Arbeitszeiten – alles genormt. Sind wir etwa im Inneren alle Faschisten?

Wir gönnen uns selbst kaum Genuss und den anderen noch weniger. Der Lärm der Nachbarskinder stört uns. Wenn Ausländer sich im Park zu einem Familienfest treffen und es nach gegrilltem Lamm oder Spanferkel riecht, empfinden wir das als persönlichen Angriff auf unser Geruchsorgan; die Party im Stockwerk über uns ist eine schreckliche Ruhestörung; wir halten es nicht aus, dass jemand anderer Freude empfindet. In unserer modernen neoliberalen Gesellschaft sind wir eifersüchtig auf den Genuss der anderen. Es darf nicht sein, dass es dir besser geht als mir!

Wir sollten uns gelegentlich aber das Recht nehmen, ein wenig toleranter und unvernünftig sein zu dürfen. Ohne schlechtes Gewissen lachen, trinken, rauchen, essen, Sex haben, Zeit verschwenden – geniessen dürfen. Das ist eines. Wichtiger erscheint jedoch der durchaus paradox anmutende Gedanke, dass man sich auch an der Freude des anderen ergötzen könnte. Der Partnerin einen Frauenabend gönnen und sich daran zu freuen, wenn sie sich amüsiert. Den Partner zum Fußball verabschieden mit den Worten: „Amüsier dich, Liebster! Bleib, so lange es dir gefällt!“. Die Kinder im Gatsch spielen lassen, auch wenn man nachher putzen und waschen muss. Gemeinsam spazieren gehen, auch wenn sich die Arbeit zuhause stapelt.. Die Möglichkeiten sind unzählig.

Inspiration: Robert Pfaller, Auf dem blauen Sofa, Wofür es sich zum Leben lohnt

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Eine Antwort zu Ist das Leben lebenswert?

  1. Fatima Freitag schreibt:

    Aus der Seele gesprochen. Danke.
    Liebe Grüße
    Fatima Freitag

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